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Sie testen Software oder technische Anlagen -
warum nicht auch Ihre Entscheidungen?

Haben Sie schon einmal eine Entscheidung bedauert? Oder zumindest im Nachhinein gedacht: „Hätte ich das vorher gewusst…“? Oder sind Sie vielleicht gerade in einer Situation, in der eine (berufliche) Entscheidung ansteht? Bei Softwareanwendungen werden umfangreich Funktion und Qualität getestet. Könnten wir nicht auch unsere Entscheidungen testen, bevor sie "live gehen"? Hier ein paar Tipps.

Technische Tests - nur so gut wie die Anforderungsdefinition

Als Informatiker oder Ingenieur kennen Sie das Konzept des Testens: Eine Software oder technische Anlage soll im Test zeigen, dass im Alltagsbetrieb die gewünschten Funktionen störungsfrei laufen und die Anforderungen erfüllt sind.

Grundlage sind also die Anforderungen: Anforderung Testfall bzw. Testfälle Testergebnis(se)
zum Beispiel: Bremsweg bei Notbremsung <10m Bremstests unter verschiedenen Witterungsbedingungen bestanden/nicht bestanden

Wie gut und umfassend ein Test erfolgt, hängt von mehreren Faktoren ab: Der Vollständigkeit der Anforderungen, der verfügbaren Team-Kapazität für die Tests sowie den Qualitätsansprüchen, die gestellt werden. Die Anforderungen sind der Grundstein für einen wirkungsvollen Test: Was nicht oder ungenau spezifiziert ist, wird nicht oder falsch getestet. Wenn es später wunschgemäß funktioniert wäre das purer Zufall.

Entscheidungen testen mit der Scorecard - viel Kopf, wenig Bauch?

Für den „Test“ wichtiger Entscheidungen haben sich Scorecards (deutsch: Wertungslisten, siehe Kasten) bewährt. Sie helfen, die „Anforderungen" ans Licht zu bringen, sie zu priorisieren und die gewünschten Ausprägungen festzulegen.

Nehmen wir an, Sie wollen sich zwischen drei Möglichkeiten entscheiden, Ihren Berufsweg in den nächsten 2-5 Jahren zu gestalten (s.u.). Dazu haben Sie die Anforderungen an die neue Stelle zusammengstellt und jeder Anforderung eine Gewichtung gegeben, die die Wichtigkeit ausdrückt. Die Gewichtung gehört hier untrennbar zur Anforderung.

Jetzt können Sie für jede Alternative einen gedanklichen Testlauf durchführen: Wie gut (von 1 bis 10) wäre die Anforderung erfüllt, wenn ich diese Entscheidung treffe, zum Beispiel:

Anfahrtsweg nicht zu lang Durchspielen verschiedener Routen, Verkehrsmittelsubjektive Bewertung

Durch Multiplikation der Punktzahl mit der Wichtigkeit und Aufsummierung erhält man eine Bewertung für jede Option.
Scorecard / Wertungsliste für die Berufsplanung

Anforderung Wichtigkeit 1) Keine Änderung 2) Neuer Arbeitgeber 3) Andere Abteilung
Gehalt 7 3 Punkte 5 Punkte 4 Punkte
Entwicklungsmöglichkeiten 8 2 Punkte 6 Punkte 7 Punkte
Sympathie Team/Vorgesetzte 6 5 Punkte 6 Punkte 9 Punkte
Anfahrtsweg 6 5 Punkte 8 Punkte 5 Punkte
Gesamtwertung 97 Punkte 167 Punkte 159 Punkte
Vielleicht schauen Sie sich jetzt den Sieger nach Punkten an (Option 2, 7*5 + 8*6+ 6*6 + 6*8 = 167 Punkte) und stellen überrascht fest: „Eigentlich hätte ich mir einen anderen Sieger erhofft."

Es ist Ihr Bauchgefühl, das sich hier meldet. Auch wenn Sie es bei der Bewertung der Alternativen berücksichtigt haben, so verleitet die Scorecard doch zu einem kopflastigen Vorgehen. Es wird am ehesten das Ergebnis rationaler Überlegungen in die Tabelle gegossen.

Sie könnten jetzt so lange an den Faktoren für die Wichtigkeit und an den einzelnen Bewertungen drehen, bis ein Ergebnis herauskommt, mit dem Sie sich wohlfühlen. Sie könnten aber auch direkt den Gefühlen auf den Grund gehen und dabei neue Aspekte Ihrer Anforderungen entdecken: Wie wichtig sind mir die einzelnen Kriterien wirklich? Und was könnte ich übersehen haben?

„Jetzt wird einiges klar..." - die Anforderungen neu denken

Um unser Bauchgefühl zu befragen, Motivationsfaktoren sichtbar zu machen, die Konsequenzen von Entscheidungen auszuloten und der Scorecard weitere wichtige Kriterien hinzuzufügen, kann man sich der sogenannten kartesischen Fragen bedienen.

Die Vorgehensweise scheint einfach: Sie bedenken der Reihe nach und zwar genau in der unten angegebenen Reihenfolge die untenstehenden Fragen. Sprechen Sie die Antworten aus, schreiben Sie sie auf, oder denken Sie einfach nur vor sich hin. Obwohl es einfach erscheint, ist es hilfreich, diese Übung gemeinsam mit einem Gesprächspartner oder Coach durchzuführen: Die Methode funktioniert am Besten, wenn jede Frage mehrfach wiederholt wird, bis wirklich alles offenliegt, was Ihnen in den Sinn kommt.
1Testen Sie Ihren Wunsch nach Veränderung
Was WÜRDE geschehen, wenn ich mich FÜR X entscheide?
„Wenn ich die Abteilung wechsle, würde ich etwas mehr verdienen, aber meine Entwicklungschancen wären ungleich besser und und das Arbeitsklima ist auch besser. Ach ja - aufgrund der technischen Anforderungen würde ich als Bonus sogar noch einen besseren Rechner auf den Tisch bekommen."
2Testen Sie, wie stark es Sie belasten würde, die Veränderung nicht anzugehen.
Was WÜRDE geschehen, wenn ich mich GEGEN X entscheide?
„Wenn ich nicht wechsle, bleibt es Business as usual. In zwei bis drei Jahren könnte ich vielleicht - aber auch nur vielleicht - die Leitung des Teams übernehmen und dann mein Können ausspielen. Das dauert mir zu lange. Mein Gehalt wird bis dahin stagnieren, es gibt kaum Neues zu tun für mich und mit einigen Kollegen hier ist die Zusammenarbeit nervenaufreibend."
3Testen Sie, was Ihnen verloren gehen könnte, wenn Sie etwas verändern.
Was WÜRDE NICHT geschehen, wenn ich mich FÜR X entscheide?
„Wenn ich die Abteilung wechsle, müsste ich mich zumindest nicht neu in Firmenabläufe einarbeiten, das ist schon mal etwas Gutes. Möglicherweise könnte ich aber meinen geplanten Urlaub nicht nehmen, weil dort dringende Abgabetermine anstehen. Meine Überstundenvergütung entfiele und wäre in dem höheren Gehalt schon eingeschlossen. Das müsste ich mir doch noch mal durchrechnen. Außerdem hatte ich hier zwei jüngere Kollegen, die mir gut zugearbeitet haben - das kann ich dort nicht voraussetzen."
4Entdecken Sie verborgene Perspektiven
Was WÜRDE NICHT geschehen, wenn ich mich GEGEN X entscheide?
„Wollen Sie mich jetzt komplett verwirren? Ich probiere es einmal: Wenn ich nicht wechsle, würde ich mich gehaltlich nicht weiterentwickeln, ich würde nicht mit meinen Lieblingskollegen in einem Team sein - hhmm, das wäre mir doch sehr wichtig, ich glaube ich sollte die Wichtigkeit in der Scorecard hochsetzen. Was noch? Ich hätte wirklich nicht die Chancen, in neue Arbeitsbereiche vorzustoßen, die ich mir wünsche. Ich glaube, ich wäre weniger motiviert. Bei jeder Hürde, jedem Ärgernis würde ich mir sagen: Hättest du doch gewechselt."
Wenn Sie die einzelnen Kästen aufklappen, sehen Sie Beispiele für die Antworten, die in einem solchen Gespräch entstehen können. Während die ersten zwei Fragen noch in Richtung dessen gehen, was die Scorecard schon offengelegt hat, lassen uns die weiteren Fragen neue Denkwege beschreiten und zusätzliche Erkenntnisse hervortreten. Sie versetzen uns in die Lage, uns „einen Tag im Leben mit Entscheidungsalternative X" besser vorzustellen: Was motiviert mich, die Veränderung anzugehen? Was hält mich davon ab? Was hatte ich als gegeben angenommen, das dann in Frage stehen würde? Und was wollte mir mein Bauchgefühlt die ganze Zeit sagen?

Die Person aus dem Beispiel könnte etwa feststellen: „An den Aspekt, dass unser Sommerurlaub abgesagt werden muss, hatte ich noch gar nicht gedacht." Oder: „Jetzt merke ich, wie wichtig mir auch der fachliche Aspekt der Entwicklungsmöglichkeiten ist." Und schließlich: „Mir ist klargeworden, dass ich mich unbedingt verändern möchte."

Für die Informatiker und Software-Spezialisten unter den Lesern: Mich erinnern die Kriterien der Scorecard an die funktionalen Anforderungen und den funktionalen (Progressions-)Test eines Systems. Die kartesischen Fragen erweitern die Testarten: Zum einen geht es hier um nicht-funktionale Anforderungen. Wenn durch die Fragen Motivationsfaktoren offengelegt werden, dann sind diese auf unser Leben bezogen sozusagen „anwendungsübergreifend". Zum zweiten wird eine Art Regressionstest durchgeführt zum Nachweis, dass sich an der bisherigen, erwünschten Funktionalität nichts ändert (Was würde nicht geschehen, wenn ich Entscheidung X treffe). Und zum Dritten erhöhen die Fragen den Grad der Testabdeckung, da sie uns wirklich in jede Ecke schauen lassen. Kurz gesagt: Gründlicher testen mit den kartesischen Fragen!

Zum Schluss noch ein wichtiger Hinweis: Sowohl die Scorecard als auch die kartesischen Fragen nehmen uns nicht die Verantwortung ab, die Entscheidung selbst zu treffen. Sie dienen lediglich dazu, unsere Erkenntnis über Triebfedern und Konsequenzen der Entscheidungen besser zu verstehen. Außerdem: Anders als bei Software, die nach erfolgreichem Test ausgeliefert wird, lohnt es sich, nach dem Test Ihrer Entscheidungsalternativen ein oder mehrere Nächte über die Erkenntnisse zu schlafen. Unser interner Compiler braucht etwas mehr Zeit, bis die neuen Erkenntnisse unser Bewußtsein durchdrungen haben und die Entscheidung wirklich reif ist. Dann aber können Kopf und Bauch gemeinsam viel besser mit der Entscheidung leben.
tl;dr
Mit der Scorecard (deutsch: Wertungsliste) können wir Anforderungen an Entscheidungsalternativen auflisten und diese bewerten. Oft ist das ein kopflastiger Prozess und bei der Betrachtung des Ergebnisses bemerken wir, dass wir uns insgeheim gerne anders entscheiden würden. Mithilfe der sogenannnten kartesischen Fragen können wir weitere Tests durchführen, die Motivationsfaktoren zutage fördern und uns andere Perspektiven einnehmen lassen. Damit am Ende eine Entscheidung heranreift, hinter der Kopf und Bauch stehen können.

Welche Veränderung würden Sie nicht angehen, wenn Sie nicht diese Entscheidungshilfen anwenden würden?